Auf der Suche nach Pilles Tricorder: Ein Nachbericht zu den Salzburger IoT-Talks im Mai 2016

 

IoT Salzburg Logo Vielen von uns ist der Tricorder aus der Science-Fiction-Serie „Star Trek“ ein Begriff: Der Tricorder ist ein handliches Gerät, das die Crew-Mitglieder der Enterprise nutzen, um physikalische und medizinische Parameter zu erfassen. Ist mit den heutigen Möglichkeiten des Internets der Dinge zur Erfassung und Auswertung von Vitalparametern die Fiktion nun von der Realität eingeholt oder gar überholt worden? Diese und ähnliche Fragen zum Einsatz des Internets der Dinge im Gesundheitswesen bildeten das Thema der 5. Salzburger IoT-Talks am 3. Mai 2016. Die Bandbreite reichte von der Beurteilung von Vitalfunktionen von Babys über Diagnose-Systeme und die Unterstützung des Selbstmanagements von Diabetiker/innen bis zur Unterstützung von selbstbestimmtem Altern.
Als Sponsor für die IoT-Talks im Mai konnten wir die Microtronics Engineering GmbH gewinnen: Nach alter Sitte der IoT-Talks steuerten die M2M-Spezialisten aus Ruprechtshofen Speisen und Getränke zu den IoT-Talks bei – diesmal eben niederösterreichischen Schmankerln. Herzlichen Dank!

Michaela Schicho (sticklett.com)

Michaela Schicho (sticklett.com)

Die Überwachung der Vitalfunktionen von Babys und Kleinkindern mit Hilfe einer „Applikation“ in Form eines Marienkäfers bildet die Basis für das „digitale Geschäftsmodell“ des Klagenfurter Startups sticklett (www.sticklett.com). Die Geschäftsführerin, Frau DI Michaela Schicho, erklärte in ihrem Referat die Möglichkeiten des „fürsorglichen Marienkäfers“ („La cura coccinella„): Er kann Fieberschübe, Herzstillstände („plötzlicher Kindstod“) und Schlafwandeln erkennen. Die technische Lösung beruht auf in den Marienkäfer eingewebten Sensoren mit Bluetooth LE Funktechnologie. Die Messwerte werden über ein GSM-Gerät (z.B. ein Smartphone) an das Backend übertragen. Bei der Entwicklung des Prototypen kommt die M2M-Plattform der Microtronics Engineering GmbH zum Einsatz.
Eine große Herausforderung für den „Marienkäfer“ bildet die Kalibrierung der Messwerte und Messverfahren: sollen doch für das Kind einerseits bedrohliche Situationen sicher erkannt werden („Ab wann ist ein Temperaturanstieg kritisch?“), und andererseits aber keine „Fehlalarme“ ausgelöst werden. Was offen angesprochen wurde: Die Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte („Medizinprodukterichtlinie„) stellt für Startups ein durchaus beachtliches regulatives und finanziellles Hindernis dar, Produkte wie „La cura coccinella“ im medizinischen Bereich zu positionieren. Die logische Konsequenz ist ein „Ausweichen“ in den Pflege-Bereich.

Anton Kesselbacher (ABIOS)

Anton Kesselbacher (ABIOS)

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte den beruflichen Stress zu „einer der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts“. Die Erfahrungen im Bereich der sportlichen Leistungsdiagnostik waren die Ausgangslage für die Entwicklung einer B2B-Lösung für Stressmanagement, Schlafscreening und Burnout-Prävention bei der ABIOS GmbH: Mag. Anton Kesselbacher und DI Josef Seibl stellten in ihrem Referat dar, wie die im Bereich des Leistungssport zum Schutz gegen Trainingsüberlastung entwickelten Verfahren zur Messung der Herzströme (EKG) auf den Bereich des Stressmanagements übertragen werden: Die Grundlage der Lösung „cardio24“ bilden aufgeklebte Bluetooth-Elektroden und eine hochfrequente (> 500 Hz) Abtastung des Schlagvariationen in Herzströmen. Die Ergebnisse werden auf Smart-Phones oder Tabletts in Form eines Ampelsystems (rot-orange-grün) auf sehr einfache, intuitive Weise dargestellt. Allerdings kommt auch hier die im Vorfeld durchgeführte Filterung und Aufbereitung der Messwerte (z.B. Zeitbereichsanalysen) eine entscheidende Bedeutung zu. Die Idee des Salzburger Startups ist, dass Therapeuten mit cardio24 eine Möglichkeiten zur gezielten Intervention und Dokumentation der Behandlungserfolge in Händen halten.

Dietmar Glachs (Salzburg Reserach)

Dietmar Glachs (Salzburg Reserach)

Wie Messdaten und andere „Observations of Daily Living“ (kurz „ODLs“) in ein ganzheitliches Konzept  des Selbstmanagements für Diabetiker/innen eingebaut werden können, stellte DI(FH) Dietmar Glachs von Salzburg Research in seinem Referat über die Ergebnisse des EU-Projekts EMPOWER dar. Allein in der EU sind über 32 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt: Die mit der Krankheit einhergehenden Einschränkungen erfordern von den Patient/innen Veränderungen ihrer Lebensgewohnheiten. Dabei unterstützt das in EMPOWER entwickelte Framework, indem es die Empfehlungen und Vorschläge (z.B. „mehr Bewegung“) der Ärzte und Therapeuten auf individuelle Handlungsempfehlungen und Ziele für die Patient/innen abbildet (z.B. „täglich eine halbe Stunde spazieren gehen“). Diese erhalten Erinnerungen an die durchzuführenden Maßnahmen und können sich selbst für die Erreichung von Zielen belohnen. Die Dokumentation über die durchgeführten Maßnahmen unterstützt wiederum die Ärzte bei der Planung weiterer therapeutischen Maßnahmen. Wesentlich an dem Ansatz von EMPOWER ist die Eigenverantwortung für Verhaltensänderungen, die den Patient/innen übertragen wird („patient empowerment“).

Referentenfoto IoT-Talks

Referenten der 5. IoT-Talks: v.l. Georg Güntner (Moderator), Harald Rieser (beide: Salzburg Research), Peter Dollfuss (microtronics engineering), Dietmar Glachs (Salzburg Research), Michaela Schicho (sticklett.com), Josef Seibl, Anton Kesselbacher (beide: ABIOS)

Harald Rieser (Salzburg Reserach)

Harald Rieser (Salzburg Reserach)

Eine Reihe von technologisch unterstützen Funktionen („AAL-Services„) für selbstständiges und selbstbestimmtes Leben und Altern in den eigenen vier Wänden stellte DI(FH) Harald Rieser von Salzburg Research in seinem Referat dar: Er zeigte die Zielsetzungen des Forschungsprojekts ZentrAAL in den Bereichen Prävention, Komfort und Assistenz für Senior/innen. Dabei wird Wert darauf gelegt, dass den Senior/innen keine Alltagsaktivitäten abgenommen werden, die sie selbst noch bewältigen können. Das Projekt steht am Beginn der Datensammlung und -Auswertung: Eben wurde die Installation der technischen Services in 60 Wohnungen abgeschlossen. Zu diesen Services zählen u.a. eine mobile Rufhilfe, ein „stiller Alarm“ (Erkennung von Inaktivität), ein elektronischer Türspion, Kontrollfunktionen für Herd (eingeschaltet?“) und Fenster („geöffnet?“) sowie Kalender-, Fitness- und Gemeinschaftsfunktionen. Die Sensor-Daten werden von Heimautomatisierungs-Komponenten erfasst und über einen lokalen Controller (Raspberry Pi 2) an das Backend weitergeleitet, in dem die Verarbeitung und Auswertung der Daten erfolgt. Als großen Plus im Projekt zählt der konsequent durchgeführte Nutzer/innen-zentrierte Entwurfs-Ansatz („user-centric design„). Auch auf die Datensicherheit wird hoher Wert gelegt (u.a. gesicherte Verbindungen, Verschlüsselung). Technische Probleme beim Roll-Out zeigen sich etwa dann, wenn sich „Standardkomponenten“ in unterschiedlichen Wohnungen unterschiedlich verhalten. Man darf auf die Ergebnisse des Feldversuchs gespannt sein.

Star Trek Tricorder

Original Star Trek Tricorder – Quelle: www.thinkgeek.com

Als Moderator der 5. IoT-Talks warf Georg Güntner (Salzburg Research) eingangs die Frage auf, ob die Realität die Vision des Tricorders in Star Trek aus den 1970er Jahren eingeholt hat. Er wies in diesem Zusammenhang auf das Themenspektrum von internationalen Konferenzen im Bereich IoT und e-Health hin – etwa die „3. EAI International Conference on IoT Technologies for Health Care“ (18.-19. Oktober 2016 in Västerås, Schweden). Zusammenfassend ergab sich mit Blick auf die Kernaussagen der Referent/innen folgendes Fazit der 5. IoT-Talks:

  • Messverfahren und Auswertungsverfahren für Daten im Bereich von Vitaldaten sind ausgesprochen heikle Themen. Zertifizierungen (ein „Goldstandard“) für die Zuverlässigkeit und Exaktheit der gewonnen Informationen existieren nur rudimentär. S. auch help.ORF.at oder die Studie von Charismha „Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps
  • Der Stellenwert von Datenschutz, Sicherheit, einfachheit der Bedienung ist ausgesprochen hoch – und umso höher, je stärker eine Lösung direkt von den Patient/innen angewendet wird (B2C-Lösungen).
  • Regulatorien – wie die Medizinprodukteverordnung – schaffen Hürden für die Ausrollung von Produkten und Verfahren im medizinischen Bereich – speziell für Startups.

 

 


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Salzburg Research Forschungsschwerpunkt(e): Publiziert am 04. Mai 2016
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